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Picknick im Wald



„Ach, du meine Güte!“ rief Ferdinand Fischadler aus. „Was ist denn hier passiert?“ Ferdinand führte seine fünf Freunde Frieda, Igor, Henriette, Lasse und Nils gerade auf eine Waldlichtung, auf der sie eigentlich picknicken wollten. „Na, das ist ja mal ein Super Picknickplatz!“ feixte Lasse. Auch Igor konnte es sich nicht verkneifen, Ferdinand aufzuziehen: „Ja, ganz wie du ihn beschrieben hast: Mitten im Grünen. Schön schattig und kühl. Der ideale Platz für ein Picknick an einem heißen Sommertag.“ Frieda runzelte nur die Stirn, hob dann bedeutungsvoll eine Augenbraue und besah sich das Ganze mit in die Seiten gestemmten Pfoten, während Henriette ziemlich schockiert aussah. Nils fasste es treffend zusammen: „So ein Mist!“

„Hier sah es neulich aber noch ganz anders aus“, erklärte Ferdinand und betrat die Lichtung. Wo er vor kurzem noch eine kleine, versteckte Lichtung mit dicken Moospolstern und alten, knorrigen Bäumen ringsherum, die angenehm kühlen Schatten spendeten, vorgefunden hatte, breitete sich heute vor seinen Augen eine große, schwarz verkohlte Fläche aus, auf der nur noch Baumgerippe standen. Ansonsten sah es tot und trostlos aus. „Wie lange ist es denn her, als du das letzte Mal hier warst?“ fragte Nils, den seine Freunde manchmal immer noch Wurmi nannten, obwohl er inzwischen ein ausgewachsener Falter war.

Und als solcher hatte er jetzt einen richtigen Namen. Als einziger der sechs Freunde hatte er sogar einen zweiten Vornamen. Sein vollständiger Name hieß Nils Nepomuk Nachtpfauenauge. „Keine Ahnung. Im Frühjahr schätze ich“, antwortete Ferdinand. „Hier muss es gebrannt haben.“ Zögernd folgten Nils und die anderen Freunde Ferdinand auf die schwarze Fläche.


„Alles tot“, sagte Henriette Hase niedergeschlagen. Igor Igel hob ein Stück Kohle, das mal der Ast einer Eiche gewesen war, vom Boden auf und zerbröselte es zwischen seinen Pfoten. Vom gegenüberliegenden Rand der Brandschneise rief Lasse Laubfrosch herüber: „So etwas kommt in einem trockenen Sommer, wie wir ihn dieses Jahr haben, öfter mal vor. Vor allem, wenn irgendein Depp Müll im Wald liegen lässt!“ Mit diesen Worten zeigte er auf etwas, das am Boden lag. „Lass mich raten!“ sagte Frieda Fuchs. „Sind Glasflaschen dabei?“ „Ja, Bierflaschen und Coladosen“, erklärte Lasse. „Dann ist die Sache ja klar“, nickte Igor. „Wieso? Was denn?“ fragte Nils, der von allen der jüngste war und vieles noch nicht so richtig verstand. Aber Ferdinand erklärte ihm immer alles, so dass er es verstehen konnte.

„Die gewölbten Böden von Glasflaschen und Getränkedosen machen herumliegenden Müll besonders gefährlich“, begann Ferdinand. „Brandgefährlich!“ ergänzte Frieda. „Ja, genau“, stimmte Ferdinand zu. „Das gewölbte Glas bündelt die Sonnenstrahlen wie eine Lupe. Und im blanken Dosenblech spiegelt sich das Licht und kann genauso gebündelt auf den Waldboden auftreffen. Dabei wird auch die ganze Hitze so konzentriert, dass sich brennbares Material entzünden kann, wenn die Sonne richtig steht.“ „Vermutlich hat hier das trockene Laub Feuer gefangen“, fügte Lasse hinzu und kam wieder hinüber zu den anderen. „Herumliegender Müll in der Natur ist aber auch aus einem anderen Grund schlecht“, bemerkte Henriette. „In Plastikteilen können sich Tiere, die in den Abfällen nach Futter suchen, verfangen und, wenn sie sich nicht wieder befreien können, verenden sie elendig. Krähenvögel wühlen ja zum Beispiel gerne im Müll.“ „Dann sollten wir den Müll dahinten besser einsammeln, bevor noch mehr passiert, oder nicht?“ meinte Nils. „Schon geschehen“, sagte Lasse und zeigte hinter sich. „Ich hab das Zeug schon in meinen Rucksack gepackt.“


„Aber guck mal, Henriette! Das ist gar kein Grund, lange traurig zu sein“, versuchte Frieda ihre bedrückt wirkende Freundin aufzumuntern. „Da vorne ist noch ein bisschen Grün, das überlebt hat.“ Und wirklich standen dort mitten im Schwarz einige leuchtend grüne Farnbüschel, die den Waldbrand scheinbar relativ unbeschadet überstanden hatten. Die Farnwedel sahen höchstens ein bisschen schrumpelig und ausgetrocknet aus. Es gab sogar schon wieder einige frische Farn-Kringel, die sich aus dem aschebedeckten Erdboden hochgearbeitet hatten.

Neugierig näherten sich die Freunde. „Und seht mal hier! Wer treibt sich denn hier rum?“ tönte Lasse: „Die bucklige Verwandtschaft!“ „Pickelige Verwandtschaft, bitte schön. Wenn es schon sein muss, frech zu werden, junger Hüpfer! Oder warzige Verwandtschaft“, antwortete die Angesprochene. Eine alte Erdkröte, die hinter dem Farnbüschel zunächst gar nicht zu sehen gewesen war, bewegte sich dort langsam nach Krötenart kriechend fort. Sie sprach tief und krächzend, aber es schien, als würde sie grinsen und als hätte sie Lasse seine frechen Worte gar nicht sonderlich übel genommen. „Na, seid ihr etwa auch Katastrophen-Touristen?“ fragte sie und blickte in die Runde. „Nee, wir wollten hier eigentlich ein Picknick im kühlen, grünen Wald machen.

Aber das hat sich hier wohl erledigt“, sagte Ferdinand. „Hier brennt die Sonne ja genauso ungehindert drauf wie in der Heide und überall sonst auch.“ „Wohnst du etwa hier?“ fragte Henriette die alte Kröte. „Ja, was denkst du denn? Natürlich wohne ich hier. Oder sehe ich etwa aus wie eine, die Picknick macht?“ krächzte die Kröte. Nils flog ganz dicht an sie heran und fragte neugierig: „Echt!? Und wie hast du das Feuer überlebt?“ „Im Boden natürlich“, gab die Kröte zurück. „Da halte ich mich übrigens meistens auf. Ist gut für die Haut“, sagte sie in Richtung von Frieda und Henriette, als würde sie den Mädels Kosmetiktipps geben. Die sahen sich verwundert an und jede von beiden dachte sich stumm ihren Teil dazu. Beide dachten in diesem Moment darüber nach, wie wünschenswert krötenähnliche Pickel und Warzen schon sein könnten. Die Alte ergänzte noch: „Jedenfalls bin ich nicht weggerannt, wie ihr euch sicher denken könnt.“ Damit kroch sie noch einen Krötenklimmzug vorwärts, um zu demonstrieren, dass sie dafür zu langsam war. „Und da bist du nicht verbrannt?“ harkte Nils nach. „Nein“, verkündete die Kröte. „Nur wenige Zentimeter unter der Oberfläche bleibt die Erde kühl, auch wenn oben ein Feuer drüber geht. Alter Krötentrick!“ Dabei zwinkerte sie lustig. „Unter der Erde kann sie mit ihrer feuchten Haut atmen“, raunte Lasse Nils heimlich zu.


„Ich möchte jedenfalls keinen Waldbrand erleben“, sagte Igor. „Und schon gar keinen Heidebrand, wo alles kilometerweit so trocken ist.“ „Uns würde nichts anderes übrigbleiben, als wegzulaufen, so schnell uns unsere Läufe tragen“, sagte Frieda. „Aber es sind nicht nur die Kröten, die einen Brand überleben können“, sagte Ferdinand. „Ob ihr‘s glaubt oder nicht: Manche Pflanzen leben erst so richtig auf, wenn es gebrannt hat. Das Heidekraut ist zum Beispiel so eine Pflanze. Ihre Samen keimen nach einem Brand viel besser.“ „Ja, und in die dicken Bäume dringt die Hitze oft gar nicht richtig ein, so dass sie bald wieder grün werden. Spätestens im nächsten Frühling“, stimmte Henriette mit neu erwachtem Optimismus ein, wie es ihre Art war. „Im Boden leben ja auch jede Menge anderer Tiere, wie Käfer und Würmer. Die sind hier bestimmt auch noch zu finden“, ergänzte Lasse.

„Oh, ich hab meine Laubstreu-Schütteldose eingepackt“, fiel es Nils ein. „Wollen wir mal nachgucken?“ „Au ja!“ sagte Igor, der sich vielleicht insgeheim auf eine kleine Ergänzung zum mitgebrachten Picknick freute. Regenwürmer waren seine Lieblingsspeise. „Nein, Igor!“ schimpfte Henriette, die ihn sofort durchschaut und Mitleid mit den Würmern hatte. „Die isst du heute nicht! Die haben gerade eine Katastrophe überlebt, und dann kommst du und frisst sie doch noch? Nee, nee. Du bist heute auf Diät!“


„Was ist denn eine Laubstreu-Schütteldose?“ meldete sich jetzt die Kröte zu Wort. Lasse nahm den Rucksack vom Rücken und kramte in ihren Sachen. Als er gefunden hatte, wonach er suchte, hob er eine mittelgroße Dose mit einem Stück grobem Stoff statt eines festen Bodens hoch. „Das hier“, sagte er. „Dort oben füllt man Laubstreu und das schon mehr zerfallene Mulchzeugs vom Waldboden rein. Dann schüttelt man die Dose wie einen Puderzuckerstreuer.“ Lasse bückte sich zum Boden, um es gleich vorzuführen. „Aber vorsichtig, sonst hüpft ja alles oben wieder raus“, mischte sich Nils ein. „Durch diesen Kartoffelsackstoff unten fallen ein bisschen Dreck und, wenn man Glück hat, jede Menge leicht schwindelige Streu- und Bodenbewohner heraus. Wenn man ein weißes Tuch hat, kann man am besten darauf streuen. Vor dem weißen Hintergrund kann man die dunklen Bodenlebewesen besonders leicht finden und genauer betrachten.“ „Ist echt spannend. Willst du mitmachen?“ fragte Ferdinand. Dazu sagte ihre warzige Bekanntschaft auch auf ihre alten Tage nicht „Nein“.

Mit der Suche nach Bodenlebewesen und einem etwas verspäteten Picknick wurde der Tag im Wald für die sechs Freunde noch wirklich interessant. Nils löcherte die Kröte nebenbei weiter mit Fragen und lernte an diesem Tag viel über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Fröschen und Kröten. Das alles speicherte er in seinem kleinen Nachtpfauenaugen-Kopf ab, denn Nils wollte irgendwann genauso viel wissen wie sein großer Kumpel Ferdinand.



Ina Wosnitza
Naturschutz & Naturparke, Heft 220
Mitgliederzeitschrift des Vereins Naturschutzpark e.V. (VNP)
>www.verein-naturschutzpark.de




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